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2.1 Geschenk und Ökonomie 2.1.1 Was ist ein Geschenk? 2.1.2 Was ist Wirtschaften? 2.1.3 Strategisches, altruistisches und intrinsisch motiviertes Schenken 2.1.4 Was ist eine Geschenkökonomie? 2.2 Geschenkökonomie in archaischen Kulturen 2.3 Schenken in modernen Gesellschaften 2.4 Geschenkökonomie im informationellen Bereich: Wissenschaft |
2.1 Geschenk und Ökonomie |
Landläufig versteht man unter Geschenk einen eingepackten Gegenstand, der zu bestimmten Anlässen von einer Person an die andere gereicht wird. Die Begriffe "Geschenkökonomie" bzw. "-wirtschaft" oder "gift economy" finden sich zwar häufig in der Literatur, es bleibt aber oft unklar, was damit gemeint ist. In diesem Abschnitt soll eine umfassendere Definition von Geschenk gefunden, die Begriffe des "Wirtschaftens" und der "Ökonomie" präzisiert, der Bezug der Schenkmotive zur Ökonomie untersucht und schließlich die Bedeutung von Geschenkökonomie geklärt werden.
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2.1.1 Was ist ein Geschenk? |
"Eine Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert, ist Schenkung, wenn beide Teile darüber einig sind, daß die Zuwendung unentgeltlich erfolgt." legt das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 516, Absatz 1) fest. Für den Zusammenhang dieser Arbeit erweitere ich die Definition auf die hier implizit ausgeschlossenen immateriellen Güter wie Dienstleistungen oder Informationen. Schenken ist dann der Transfer eines Gutes von einer Person an eine andere. 1 Das Gut kann ein materieller Gegenstand, eine Dienstleistung oder Information sein, man kann Stehlampen, Fußmassagen oder Steuerspartips verschenken. Dabei werden folgende Bedingungen erfüllt: Der Gegenstand hat einen Wert für den Empfänger. Er ist eben ein Gut. Müll in Nachbars Garten abladen ist kein Schenken. Es ist keine bestimmte Gegenleistung vereinbart. Kaufen oder Tauschen ist kein Schenken. Gegenstände, die frei vergeben werden, aber Teil einer Verkaufshandlung sind, sollen hier auch ausgeklammert werden. Das Geben ist freiwillig. Der Gebende kann zumindest die Art des Geschenks bestimmen. Steuern oder Schutzgelder sind keine Geschenke. |
2.1.2 Was ist Wirtschaften? |
[Die] rationale Disposition über knappe Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen und Wünschen. (Helmstädter 1974: 2) definiert ein wirtschaftstheoretisches Lehrbuch und bis auf die jeweilige Formulierung gleichen die anderen Lehrbuchdefinitionen dieser. Das Grundproblem des Menschen besteht aus der Sicht der Ökonomen darin, daß er nur knappe Mittel zur Verfügung hat, um seine (nicht knappen) Ziele zu erreichen. Zum Glück ist der Mensch oder zumindest der "Homo Oeconomicus" rational, d. h. er ist in der Lage, über die vorhandenen knappen Mittel so zu verfügen, daß er sie optimal einsetzt. Optimal heißt einfach: Ein gegebenes Ziel mit möglichst wenig Aufwand zu erreichen bzw. mit gegebenen Mitteln möglichst viel zu erlangen. Ökonomisches Handeln ist in nahezu allen Lebensbereichen präsent, da wir fast überall mit knappen Mitteln aber unendlich vielen Zielen konfrontiert sind. Die ökonomische Sphäre ist die, in der die Dispositionsfrage das entscheidungsleitende Problem ist. Eine ökonomische Erklärung eines sozialen Phänomens beginnt mit der Rationalitätsvermutung: Das Phänomen wird als aggregiertes Produkt der einzelnen zweckrational handelnden Akteure beschrieben. |
2.1.3 Strategisches, altruistisches und intrinsisch motiviertes Schenken |
In der einschlägigen Literatur (z. B. Laum 1960: 13 ff., ) wird das Schenken bisweilen als altruistische Transferform im Gegensatz zum egoistischen Tauschen und Verkaufen gesehen. Mauss (1990: 85 f.) zeigt dagegen, daß zum Beispiel bei bestimmten nordamerikanischen Völkern der Zweck der Geschenke die Vernichtung des Beschenkten sein kann. Schenken kann nicht per se als eigennützige oder uneigennützige Verkehrsform betrachtet werden. Zumindest drei Arten der Motivation können einem Geschenkakt zugrunde liegen: Er kann strategisch ausgerichtet, altruistisch oder intrinsisch motiviert sein. Das Ziel einer intrinsisch motivierten Handlung liegt in ihr selbst; sie macht Freude, Sinn oder befriedigt direkt sonstige unmittelbare Bedürfnisse. Das Ziel einer strategischen Handlung zielt hingegen darauf ab, sich vorteilhafte Handlungsoptionen zu erschließen oder zukünftige Gewinne zu machen. Das ist der Fall, wenn ich etwas verschenke, um ein wertvolleres Gegengeschenk zu bekommen, oder um das Vertrauen von jemandem zu gewinnen. Eine altruistische Handlung hat einen intrinsischen oder strategischen Wert für einen anderen, ich tue ihm etwas unmittelbar Gutes oder erschließe ihm vorteilhafte Handlungsoptionen. Strategisch ausgerichtetes Schenken kann im allgemeinen komplett ökonomisch untersucht werden: Es ist vollständig berechenbar, weil der Schenkende den Verlust an Gütern und Handlungsoptionen, den er durch das Schenken erleidet, durch einen Gewinn an wertvolleren Gütern und Handlungsoptionen kompensiert haben möchte. Die Motivation ist einfach die Erzielung von Profiten. Altruistische und intrinsisch motivierte Geschenkakte haben einen nichtökonomischen Kern, eine Präferenzstruktur, die z. B. vorgibt, daß es mir eine bestimmte Summe wert ist, Person X in einer bestimmten Weise zu helfen. Diese Präferenzstruktur muß erst einmal als gegeben betrachtet werden; die Untersuchung der Dynamik dieser Struktur ist Gegenstand anderer Wissenschaften wie der Soziologie oder Psychologie. Dennoch sind altruistisch und intrinsisch motivierte Schenkungen auch ökonomisch erklärbar: Bei einer als gegeben betrachteten Präferenzstruktur können andere wirtschaftliche Umfeldfaktoren zu einer Veränderung des Schenkverhaltens führen: Die steuerliche Absetzbarkeit von gemeinnützigen Spenden beeinflußt wahrscheinlich das Spendenaufkommen, da es für die Spender billiger wird, zu schenken. |
2.1.4 Was ist eine Geschenkökonomie? |
Schenken kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden: Man kann es z. B. als Kommunikation oder als Einhaltung gesellschaftlicher Normen beschreiben. Eine ökonomische Perspektive auf das Phänomen besteht dagegen aus den folgenden drei Komponenten: 1) Sie sieht die transferierten Gegenstände als Güter (und nicht primär als Kunstwerke, Resultate der Selbstverwirklichung oder Kommunikation). Diese Güter haben einerseits einen Wert für den, der sie benutzt, andererseits verbrauchen sie bei ihrer Herstellung Zeit und evtl. andere knappe Güter. 2) Sie erklärt das soziale Phänomen Geschenkverkehr als Ergebnis zweckrational disponierender Individuen, die mit knappen Mitteln bestimmte Bedürfnisse erfüllen wollen. Sie zeichnet die Handlungen dieser Akteure vor dem Hintergrund bestimmter sozialer, psychologischer und technischer Umweltfaktoren (die oft selbst nicht ökonomisch erklärbar sind). 3) Sie verortet eine Handlung innerhalb eines Systems von Handlungen: Genausowenig wie man isoliert erklären kann, warum jemand sein Auto für 20.000 DM verkauft, obwohl man das Geld weder essen, noch fahren oder bewohnen kann, macht normalerweise ein Geschenkakt singulär betrachtet Sinn: Er muß meistens als Handlung gesehen werden, die innerhalb eines Kontexts von vergangenen und zukünftigen Handlungen desselben und anderer Akteure steht. Eine Geschenkökonomie - und das ist meine Definition - ist ein System der Zirkulation knapper Güter als Geschenk, das durch zweckrationale Handlungen in bestimmten Umweltbedingungen erklärt werden kann. Wenn für den einzelnen Schenkenden der Pay-Off den Güterverlust durch das Schenken normalerweise übertrifft, können wir das Geschenksystem als Folge rein strategisch ausgerichteter Handlungen betrachten. Wenn diese Erklärung nicht möglich ist, müssen intrinsische und altruistische Motive erklären, welche Bedürfnisse durch den Verlust an Handlungsoptionen und Gütern befriedigt werden. Wir sehen die Geschenkwirtschaft dann als ein System, in dem das einzelne Individuum seinen Vorrat an Gütern und Handlungsoptionen verbraucht, um bestimmte Bedürfnisse - wie das, anderen zu helfen - zu befriedigen. Der Unterschied zum normalen Konsum ist dabei, daß die Güter weitergegeben werden. Die Handlungsmotivation spielt keine Rolle bei der Frage, ob ein System des Geschenkverkehrs als Ökonomie beschrieben werden kann: Das handlungsverursachende Bedürfnis muß nicht zweckrational sein, sondern nur die Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen, das Bedürfnis zu befriedigen. Der Terminus "Geschenkökonomie" wird im folgenden sowohl für diese spezifische Form des Verkehrs und Konsums verwendet, als auch für ein einzelnes ökonomisches System, in dem diese Verkehrsform dominiert. |
2.2 Geschenkökonomie in archaischen Kulturen |
In der Literatur zum Geschenkverkehr fällt der rückwärtsgewandte Blick auf: Der Großteil der Autoren behandelt Kulturen, die zeitlich oder entwicklungsmäßig vor der ihrigen liegen: Tacitus' "Germania" (1990: Kap. 21), beschreibt das Geschenksystem bei den transalpinen Primitiven. Jacob Grimm (1865) startet zur Erklärung der Bedeutung von "Schenken und Geben" eine philologische Tour de Force durch antike und mittelalterliche Sagen. Malinowski (1979), Mauss (1990), Sahlins (1972), Bourdieu (1987) und viele andere nehmen die Geschenkökonomie "archaischer" aber noch existenter Kulturen auseinander. Bei fast allen Autoren ist eine leichte Wehmut zu spüren, daß das Geschenksystem der edlen Wilden in ihrer zivilisierten Kultur keinen Platz mehr findet. Der Grund für den Blick zurück liegt darin, daß bei den archaischen Gesellschaften das Phänomen offener zu Tage tritt. Die Geschenkwirtschaft ist noch nicht durch eine dominante Geldwirtschaft überlagert, sondern oft selbst die bedeutendste Güteraustauschform. Hier läßt sich das gesamte System eines Geschenkverkehrs betrachten, das in modernen Gesellschaften wahrscheinlich nur noch in Rudimenten überlebt hat. Mauss (1990) betrachtet in seinem bahnbrechenden Werk "Die Gabe" den Geschenktausch wie viele seiner Ethnologenkollegen als einen Typus von (Sozial- und) Wirtschaftssystem. Er beschränkt sich nicht auf eine spezifische Ausprägung, sondern findet dasselbe System in vielen archaischen Kulturen. 2 Ich werde im folgenden die ethnologischen Theorien zur Geschenkökonomie im groben nachzeichnen. Dabei sollen hier die empirischen Fragen, ob, wo und in welcher Ausprägung diese Geschenkökonomie real existiert hat, aus Raum-, Zeit- und Kompetenzgründen nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. 3 Von Interesse für meine Untersuchung ist nur, daß es Mauss gelingt, ein plausibles Modell der Geschenkökonomie zu konstruieren. In Geschenkökonomien gibt es die Pflichten, zu bestimmten Anlässen Geschenke zu machen, Geschenke anzunehmen, die Geschenke weiterzugeben und dem Gebenden Geschenke später (teilweise mit Zinsen) mittels anderer Geschenke zurückzuzahlen (Mauss 1990: 36 ff., 91 ff.). Die Geschenke werden teilweise zwischen Personen, vor allem aber zwischen Organisationen wie Familien, Clans oder Stämmen ausgetauscht (S. 21 f., 91). Oft wird ein erheblicher Teil des gesamten Austausches in der Form des Geschenks abgewickelt (S. 90, 94 f.). Meistens sind Nahrungsmittel, Einladungen zum Essen, Wertgegenstände (Magisches, Seltenes, aufwendig Herzustellendes) und Frauen dabei (S. 31, 59, 103 f.). Die Geschenke werden öffentlich gegeben; oft im Rahmen von Festen, bei denen eine große Öffentlichkeit gewährleistet ist (S. 80). Als heutiger Mensch, als Kind des Geldverkehrs, versteht man das geschenkökonomische Verkehrssystem erst, wenn man weiß, wie es sich aufrechterhält. In vielen Kulturen konkurriert der Geschenkverkehr mit verschieden weit entwickelten Formen des Tauschhandels. Die Frage stellt sich, warum das System des Geschenktausches nicht durch opportunistisches Verhalten zerstört wird: Es würden jeweils ein paar wenige Akteure genügen, die Geschenktes horten oder nur gegen andere Gegenstände tauschen, um das System zu unterminieren. Mauss erklärt die Aufrechterhaltung einerseits durch diverse religiöse Vorstellungen, vor allem durch die, daß die Dinge ein sogenanntes "Hau", haben, ein Wesen, eine Seele oder ein Eigenleben, das sie zwingt, als Geschenke weiterzuzirkulieren bzw. durch reziproke Gaben ausgelöst zu werden (S. 31 ff.). Hortet man die Dinge, so wendet sich deren Hau gegen die Besitzer und schadet ihnen. Ich bin kein Ethnologe, wage es aber dennoch, die Stringenz dieser Erklärung anzuzweifeln. Religiöse Vorstellungen beeinflussen natürlich das Verhalten der Menschen, m. E. sind sie aber in keiner Kultur hinreichende Barrieren, um opportunistisches Handeln zu verhindern, da es immer einige Menschen gibt, die religiöse oder ethische Vorgaben ignorieren und "vernünftig" agieren. Im hochreligiösen ausgehenden Mittelalter gab es z. B. trotz christlichem Armutsgebot und Zinsverbot sehr reiche Menschen und ein relativ weit entwickeltes Banksystem, weil es Leute gab, die die Vorgaben umliefen, umdeuteten oder außerhalb davon standen (Juden). Bei Geschenkökonomien würden einige Menschen genügen, die nicht so fest daran glauben, daß Nicht-Weitergeben oder Nicht-Zurückzahlen von Geschenken ihnen schadet, und die Reichtümer würden bei diesen Menschen akkumuliert werden. Andererseits erklärt Mauss den Anreiz zum Weiterschenken über Begriffe wie Ehre, Prestige oder Ansehen: (S. 82, 84) Man gewinnt grundsätzlich durch Schenken, Weitergeben, Zurückschenken an Ansehen und man verliert Ansehen, wenn man nicht oder nicht genug schenkt. Ansehen hat für den, der es besitzt, auf der einen Seite intrinsischen Wert: Wertschätzung durch andere ist ein Gut an sich. Andererseits hat Ansehen einen Tauschwert, dient zu etwas: Die herausgehobenen Positionen innerhalb der sozialen Organisationen werden zumindest teilweise über durch Geschenke erworbenes Ansehen besetzt (S. 80 f.). Die so erworbenen Positionen erlauben es wiederum, mehr Güter zu bekommen (S. 55). Diese Ökonomie der Politik, der Stimmen-Geschenke-Tausch ist wohl auch unserer Kultur noch nicht völlig fremd. Laum (1960: 33) erklärt sie zum politischen Grundprinzip aller "jungen Völker". Der Aufwand, Ansehen zu erwerben, zahlt sich auch dadurch aus, daß Leute mit hohem Ansehen größere Geschenke bekommen. Beim Empfangen von Geschenken verpfändet man sein Ansehen wiederum, indem man eine Bringschuld auf sich geladen hat (Mauss 1990: 89): Ist man nicht willens oder nicht in der Lage, das Geschenk zurückzuzahlen, dann verliert man an Ansehen (S. 84 f., 88. f.). Firth (1965: 300) beobachtet in seiner Feldstudie über die polynesischen Tikopia, daß höherrangige Personen selbst in klaren Tauschbeziehungen mehr als andere für die Güter bezahlen müssen, da ihr Ansehen sonst sinkt. Die Erklärung des Funktionierens der Geschenkwirtschaft durch Ansehensgewinne ist eine genuin ökonomische, weil hier erstens erklärt wird, in welcher Münze die Gegenleistung gezahlt wird und zweitens, wie man das Ansehen in konsekutiven Tauschbeziehungen weiterverwenden kann. Das Funktionieren des Systems kann damit durch strategisch und rational handelnde Akteure erklärt werden. Bourdieu (1987: 205 ff.) prägt in seiner Untersuchung von Geschenksystemen im Maghreb den Terminus "symbolisches Kapital" für das Ansehen, das der Schenkende für sein Geschenk bekommt. Vielleicht können wir als Geldwirtschaftsgeprägte die Funktion des Ansehens nur nachvollziehen, wenn wir es als Geld- oder Kapitalpendant betrachten, als ein öffentlich geführtes Konto, bei dem allerdings keine genauen Verrechnungseinheiten existieren, sondern nur eine ordinale Vergleichbarkeit einzelner Ansehenskonten möglich ist: Durch Weggabe von Gütern gewinne ich symbolisches Kapital, wenn der andere nicht in der Lage ist zurückzuzahlen. 4 Durch den Empfang von Gütern verliere ich an symbolischem Kapital, wenn ich selbst nicht in der Lage bin, zurückzuzahlen. Außerdem kann ich durch hohes Ansehen Ämter erwerben, die ich aber nur behalte, wenn ich das Ansehen durch wertvolle Geschenke erhalte Mauss 1990: 92). Man kann sein symbolisches Kapital natürlich unter bestimmten Bedingungen direkt in Waren umtauschen, indem man eine Zeit lang mehr Geschenke entgegennimmt, als man zurückschenkt. Damit verliert man das symbolische Kapital und gewinnt Güter. Ein "symbolischer Kapitalist" wird das im Allgemeinfall aber genausowenig tun, wie ein Fabrikbesitzer sein Kapital, die Maschinen, verkauft. Das symbolische Kapital heckt langfristig gesehen viel mehr Güter, wenn es gepflegt wird. Es ist also nicht so sehr Austauschgegenstand, sondern vielmehr Katalysator in Tauschbeziehungen: Ein hohes symbolisches Kapital ist eine Art wertvolles Pfand, das man besitzt und das es einem erlaubt, größere Geschenke zu bekommen, indem man es bis zur Rückzahlung verpfändet. 5 Als Katalysator erlaubt es dem Besitzer, höhere Umsätze im Geschenkaustausch zu tätigen und evtl. Machtpositionen zu besetzen, von denen aus er die Güterströme zwischen den Organisationen kontrollieren kann. Wie er daraus direkten Profit schlägt, ist dann seiner eigenen Geschicklichkeit überlassen. Aus der Kenntnis der Funktionsweise des Geschenkverkehrs können wir drei Grenzbedingungen für die Aufrechterhaltung der Geschenkökonomie formulieren: 1. Es muß möglich sein, alle Schenkhandlungen öffentlich durchzuführen, damit die Öffentlichkeit das Ansehenskonto führen kann. Bei dem Empfang eines Geschenkes unter vier Augen wäre evtl. der Anreiz, dem Gebenden nichts zurückzuschenken und einen Ansehensverlust bei ihm alleine in Kauf zu nehmen, zu groß. 2. Man muß alle Akteure in der Ökonomie kennen, da die Ansehensverluste oder -gewinne bestimmten Akteuren zugerechnet werden müssen. Ein normaler, anonymer Austauschprozeß wie in unserer Kultur, wo man einfach nur Kunde X ist, wäre nicht möglich, weil ein Unbekannter sein Ansehen nicht verpfänden kann. Falls eine Kultur zu viele Menschen hat, um jedem einzelnen einen Überblick über das Ansehen aller anderen zu ermöglichen, ist es sinnvoll, Gruppen als Akteure im Tausch und als Träger von Ansehen einzusetzen: Die Bildung von Gruppen bringt die Anzahl von Akteuren wieder in einen überschaubaren Bereich. 3. Die Arbeitsteilung und Spezialisierung darf nur geringe Ausmaße erreichen. Wenn die meisten Menschen Gegenstände herstellen, die nur für sehr wenige andere gebrauchbar sind, ist Reziprozität kaum herstellbar, da man für sein Geschenk meistens etwas bekommt, was man nicht verwenden kann, sondern erst über weitere Transaktionen in ein benötigtes Gut umwandeln kann. Ein solches Verfahren wäre ökonomisch ineffektiv. Unter diesen drei Bedingung funktioniert der Geschenkverkehr mit Hilfe der Währung Ansehen soweit beobachtbar sehr zuverlässig. Im Güterverkehr der modernen, arbeitsteiligen Gesellschaften können diese Voraussetzungen jedoch nur höchst selten erfüllt werden. |
2.3 Schenken in modernen Gesellschaften |
In der ersten zentralen Kampfschrift für die heraufziehende Marktwirtschaft, in Adam Smiths "Wohlstand der Nationen", wird der Geschenkverkehr als etwas primitives, eigentlich animalisches, verworfen. Smiths zentrales Argument für das Primat des Tauschs Gut gegen Geld oder Gut gegen Gut lautet: "Will ein Tier von einem Menschen oder einem Tier irgend etwas haben, so kennt es kein anderes Mittel, als die Gunst dessen zu gewinnen, von dem es etwas möchte. [...] Der Mensch verhält sich gelegentlich ebenso. [...] Ein solcher Weg ist allerdings recht zeitraubend und nicht immer gangbar. In einer zivilisierten Gesellschaft ist der Mensch ständig und hohem Maße auf die Mitarbeit und Hilfe anderer angewiesen, doch reicht sein Leben gerade aus, die Freundschaft des einen oder anderen zu gewinnen. [...] Er wird sein Ziel wahrscheinlich viel eher erreichen, wenn er deren Eigenliebe zu seinen Gunsten zu nutzen versteht, indem er ihnen zeigt, daß es in ihrem Interesse liegt, das für ihn zu tun, was er von ihnen wünscht." (Smith 1974: 16 f.) Schenken und sich Beschenken lassen ist also im Vergleich zum Tauschen oder Kaufen/Verkaufen ineffektiv und somit ökonomisch irrational. Unser System basiert darauf, daß jeder Tauschakt im Prinzip abgeschlossen ist: Der Gebende bekommt die Gegenleistung sofort: Geld, einen Tauschgegenstand, Schecks, Schuldscheine oder einklagbare Forderungen. Die Öffentlichkeit braucht damit nichts zu tun zu haben und die beiden Akteure müssen keine wie auch immer geartete Beziehung zueinander eingehen: Handel ist eine Form der Interaktion, die weder eine vorausgehende noch eine anschließende voraussetzt. Das ist eine Grundlage für die Trennung zwischen einer Sphäre des ökonomischen Austauschs und einer der tiefergehenden sozialen Bindungen. Im Zuge der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft wird das Schenken von einer Form des Güterverkehrs dann auch zu einer Handlung, die nur innerhalb der abgetrennten Sphäre der freundschaftlichen und familiären Beziehungen Sinn macht: "Mit der Trennung von Ökonomie und Kultur gerät auch das Schenken ganz auf die Seite des bürgerlichen Kosmos, die ökonomisch nichts einbringt, weil sie nichts einbringen darf - eine kulturelle Praxis, die interesseloses Interesse und Uneigennützigkeit demonstriert, die in Wohnstätten und an Feiertagen privatim in Szene gesetzt und eher dem Innen und dem Gefühl als dem Außen und dem Geschäft zugeschrieben wird." (Berking 1996: 219) Cheal (1988) nimmt Smiths Argument auf, und zeigt daß es eigentlich keine Geschenkwirtschaft mehr geben kann. Der heutige Austausch von Gütern in der Form des Geschenks sei als Güteraustausch "redundant" (S. 12 ff.), er mache nur noch Sinn als Austausch von "Tie-Signs" (Bindungs- / Beziehungszeichen), also als Kommunikation (S. 20 ff.). Berking bringt unser heutiges Schenken als "Transformation industrieller Massenprodukte in symbolische Güter" (Berking 1996: 26) auf den Punkt. Die Redundanz unseres heutigen Geschenkaustausches liegt darin, daß wir meistens Güter verschenken, für die der Beschenkte das Geld, das wir bezahlt haben, nicht bezahlen würde. Für das Gegengeschenk, das den Schenkenden dann an seinem Beschenkungsanlaß (Geburtstag, Muttertag, usw.) erwartet, gilt das gleiche. Beide Parteien haben also für ihren Geldeinsatz etwas bekommen, was in ihren Augen weniger wert ist, als dieser Einsatz, beide haben also materiell verloren und somit wirtschaftlich irrational gehandelt. Schenken macht demnach nur Sinn, wenn ein ideeller Wert durch den Akt des Schenkens generiert wird, der den materiellen Verlust übersteigt. Das heißt, daß Schenken im wesentlichen kein Austausch von Gütern mehr ist, sondern eine zeichensetzende Handlung, die in der Auswahl des Geschenks, im Erwerben, Verpacken und Überreichen besteht. Der geschenkte Gegenstand selbst ist nicht sehr viel mehr als das Büttenpapier und die goldene Tinte mit denen man das "Ich mag Dich!", "Diesmal habe ich unseren Hochzeitstag nicht vergessen!" oder was auch immer schreibt. Das Geschenk hat die ökonomische Sphäre verlassen. Man darf es bedauerlicherweise nicht weiterverkaufen, -schenken oder recyclen. Ein Gut ist primär die Handlung des Schenkens selbst, die im Idealfall einen Nutzen für Schenkenden und Beschenkten hat. Das Geschenk selbst dient oft zu nichts sehr sinnvollem, sondern ist eine Art Brückenkopf des anderen in meiner persönlichen Sphäre: Es will an den eigenen Wänden hängen, von mir getrunken werden oder meine Füße kratzen. Eine "Ökonomie des Schenkens" wäre hier ein etwas überkandidelter Begriff für eine Beschreibung der psychosozialen Bedeutung eines Kommunikationsaktes mit Hilfe eingepackter Gegenstände. Eigentlich gibt es demnach heute keine Geschenkökonomie mehr, da Schenken eine per se unwirtschaftliche Handlungsweise ist. Ich denke, daß man zu diesem Schluß nur kommt, wenn man sich beim Terminus "Geschenk" zu stark an der paradigmatischen Vorstellung orientiert, eben an dem eingepackten, zu bestimmten Anlässen ausgetauschten Gegenstand. Bei der Anwendung einer umfassenden Definition, wie ich sie eingangs in diesem Kapitel formuliert habe, findet man in vielen Sphären Geschenke, deren Austausch man durch ökonomische Überlegungen erklären kann. Laum (1960) widmet sich in seiner "Schenkenden Wirtschaft" unter anderem den Bereichen, in denen auch heute noch Güter als Geschenke vergeben werden: Die Beispiele reichen vom Schenken als kalte Kriegswaffe (Der Marshallplan und die Entwicklungs- und Waffenhilfe bis in die 80er Jahre hatte vor allem den Sinn, den eigenen Block zu stärken) über Geschenke als Werbemittel bis hin zur Bestechungsversuchen. Diese Geschenkakte sind ökonomisch rationale Handlungen, sie dienen meistens dazu, sich die Wohlgesonnenheit des Beschenkten zu erkaufen, die dann in anschließenden Handlungen instrumentalisiert werden kann. Der Geschenkaustausch bildet allerdings kein geschlossenes System, sondern ist nur eine strategische Option in einem viel größeren Spiel, das nicht hauptsächlich aus Schenken besteht. |
2.4 Geschenkökonomie im informationellen Bereich: Wissenschaft |
Die Wissenschaft ist das am besten funktionierende Beispiel für Geschenkökonomie im informationellen Bereich. In diesem letzten Abschnitt sollen die Mechanismen des Schenkens in der Wissenschaft etwas ausführlicher dargestellt werden, da der wissenschaftliche und akademische Bereich der wahrscheinlich wichtigste Pate des Internets ist und die Wissenschaft das Paradigma der Kommunikation im Netz liefert. Hier tritt eine Güterverkehrsform, die im Internet wiederzuentdecken ist, klarer zu Tage. Ich stütze mich in diesem Abschnitt hauptsächlich auf die Arbeiten der Wissenschaftssoziologen Merton und Latour, die die Produktion und den Verkehr wissenschaftlicher Erkenntnisse unter verschiedenen ökonomischen Blickwinkeln betrachten. 6 Der Wissenschaftler gibt seine Erkenntnisse, die ein Gut sind, frei her. Er schenkt sie allen, die etwas damit anfangen können. Meist wird er für seine Publikationen - egal wie wertvoll sie sind - nicht oder nur symbolisch von der veröffentlichenden Zeitschrift entlohnt. Er produziert das öffentliche Gut Erkenntnis auch nicht - wie ein Polizist das öffentliche Gut Sicherheit - einfach gegen Staatsgelder: Im Gegensatz zum Polizisten ist ein Wissenschaftler mehr oder weniger frei in dem, was er tut. Er hat die volle Dispositionsmacht, über das, was er gibt: Seine Brötchengeber können ihn im allgemeinen nicht verpflichten, bis zu einem bestimmten Termin einen Artikel mit einem bestimmten Inhalt zu veröffentlichen. 7 Da er nicht verpflichtet ist, etwas bestimmtes zu geben, ist seine Gabe - nach meiner Definition - Geschenk. In der Wissenschaft gibt es auch keine Reziprozität: Der Nehmende kennt zwar den Gebenden, aber nicht umgekehrt. Der Schenkende kann von den Rezipienten überhaupt nicht erwarten, daß sie zurückschenken, da er sie nicht kennt. Sein Geschenk muß sich auf eine andere Art rentieren als in der archaischen Geschenkökonomie. Merton (1957: 556) sieht das wissenschaftliche Kommunikationssystem als eine Art "communism": The scientist's claim to 'his' intellectual 'property' is limited to that of recognition and esteem which, if the institution functions with a modicum of efficiency, is roughly commensurate with the significance of the increments brought to the common field of knowledge. (Merton 1957: 556) Das Initationsgeschenk eines Wissenschaftlers, mit dem er in die Gemeinde 8 eintritt, ist oft seine Dissertation. Meist bekommt er wenig oder keine Mittel dafür. Er wird von den Institutionen der Gemeinde auf eine sehr archaische Weise belohnt: Sie verleihen ihm einen Namen. Für eine ordentliche Dissertation in der Elementarteilchenphysik wird aus "Müller" zwar kein blumiges "Der-mit-den-Quarks-tanzt", aber immerhin "Dr. Müller". 9 Mit weiteren Publikationsakten akkumuliert der Wissenschaftler - je nach Wert seiner Veröffentlichung - Ansehen. Das Ansehen kann man nach Bourdieu (1991) und Latour (1994) und analog zum oben erwähnten symbolischen Kapital "wissenschaftliches Kapital" nennen. Was den Wert von Publikationen ausmacht, kann hier nicht erläutert werden (Originalität, die Verwendung anerkannter Verfahren und die Reproduzierbarkeit von Resultaten gehören sicher dazu). Das Ansehen ist jedoch in gewisser Hinsicht meßbar, es wird als Position innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses begriffen, als der Umfang, in dem andere von der Arbeit Gebrauch machen. Es kann z. B. als Anzahl zustimmender Zitierungen durch andere Wissenschaftler quantifiziert werden. Ansehen hat natürlich einen intrinsischen Wert, allerdings kann der Wissenschaftler weder sein Frühstück damit bezahlen, noch weitere Forschungsvorhaben finanzieren. Er muß also versuchen, für die Anerkennung Güter und Optionenräume zu bekommen, sie also strategisch einzusetzen: Since positive recognition by peers is the basic form of extrinsic reward in science, all other advancements in the hierarchy of scientists, and enlarged access to human and material scientific capital, derive from it. (Merton 1988: 622) Sein wissenschaftliches Kapital kann der Wissenschaftler erstens verwenden, um mehr Mittel für den nächsten Produktionsprozeß zu bekommen. Das Kapital dient dabei als Pfand. Ein angesehener Wissenschaftler bekommt leichter Zugang zu Forschungsmitteln als ein No-Name. Zweitens bekommt er mit seinem Kapital Zugang zu Machtpositionen, das sind Posten als Laborleiter oder als Mitglied in Gutachtergremien von Zeitschriften oder Forschungsfonds. Drittens dient das Kapital als Schmiermittel, als Katalysator für weitere Schenkakte: Anerkannte Wissenschaftler können ihre Beiträge leichter in wissenschaftliche Zeitschriften plazieren. Diese drei Verwendungszwecke des wissenschaftlichen Kapitals können wiederum dazu benutzt werden, weiteres Kapital zu akkumulieren. Latour (1994) zeichnet in seinem Artikel "Der Biologe als wilder Kapitalist" die Strategien eines erfolgreichen Forschers nach, sein wissenschaftliches Kapital zu vermehren. Der Text ist eine Beschreibung und Theoretisierung eines intensiven Gesprächs mit dem nobelpreisverdächtigen Endokrinologen Pierre Kernowicz über dessen Karriere: Der Forscher muß darauf achten, Fragestellungen anzugehen, die einen möglichst baldigen Return versprechen, ein originelles, publikables Resultat (S. 77, Sp. 1; S. 78, Sp. 2). Er muß darauf bestehen, daß sein Name und (nicht nur der seines Laborleiters) auf den Publikationen steht, da er nur so wissenschaftliches Kapital akkumulieren kann (S. 79, Sp. 1). Er muß räumlich und inhaltlich mobil sein: Kernowicz "ist jederzeit bereit, sein ganzes Vermögen irgendwo abzuziehen und es dort zu investieren, wo die höchste Rentabilität zu erwarten ist." (S. 78, Sp. 3). Nach Latour interessiert den Wissenschaftler vor allem "die 'beschleunigte und erweiterte Reproduktion' des gesamten Kreislaufs; es sei denn, der Forscher verläßt das Feld und setzt sein Glaubwürdigkeitskapital anderswo in klingende Münze um (Lehre, Management, Verwaltung, Journalismus, etc.)" (S. 79, Sp. 2). Wissenschaft kann, da sie nur Erkenntnisse produziert und da sie hauptberuflich betrieben wird, keine geschlossene Ökonomie sein: Das System des Erwerbs von Anerkennung durch Geschenke funktioniert nur, weil es mit einem System der Verteilung von Fleischtöpfen gekoppelt ist, welche hauptsächlich vom Staat bereitgestellt werden. Jede informationelle Geschenkökonomie, die von hauptberuflichen Akteuren getragen wird, ist auf diese andere Ökonomie, die die Belohnungen für das Schenken bereitstellt, angewiesen. Eine informationelle Geschenkökonomie ist ähnlich wie die archaische darauf angewiesen, daß die Handlungen zurechenbar sind: Die Aufspaltung in Disziplinen und Unterdisziplinen in der Wissenschaft ist wahrscheinlich nicht nur durch die Erkenntnisobjekte bedingt, sondern dient auch der Aufrechterhaltung der Ökonomie: Eine wissenschaftliche Gemeinde darf nur so groß sein, daß sie die Anerkennungskonten aller Akteure gerade noch verwalten kann. Jeder der Akteure muß, um in der Gemeinde Ansehen zu sammeln, auf seinen eigenen Namen arbeiten; was im Zeitalter der industriellen Produktionsweise in gewisser Hinsicht archaisch ist. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann eine Geschenkökonomie im informationellen Bereich Wunder leisten: Die Entwicklung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes bis zum heutigen Tag wäre niemals möglich gewesen, wenn jeder Wissenschaftler versucht hätte, seine Erkenntnisse und deren Weiterverwendung zu schützen und möglichst teuer zu verkaufen. Jedes Rädchen wäre wahrscheinlich hundertfach erfunden worden. |
Fußnoten |
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