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Ziel dieser Arbeit war es, Herkunft, Umfang und Funktionsweise der Geschenkökonomie im Internet zu analysieren. Ich fasse hier zunächst den Gang der Untersuchung zusammen: Im zweiten Kapitel wurden nach einer Definition der Grundbegriffe mit dem archaischen und dem wissenschaftlichen Verkehrssystem zwei Typen von Geschenkökonomien betrachtet, in denen das zentrale Kapital, das durch Geschenke gewonnen wird, Ansehen ist. Es wurde erläutert, warum im Güterverkehr der Industriegesellschaften das Geschenk in Randbereiche verdrängt ist und im normalen Leben hauptsächlich eine Rolle als Kommunikationsform innerhalb von engen, persönlichen Beziehungen spielt. In Kapitel drei habe ich erläutert, daß die Geschenkökonomie sich aufgrund kontingenter Entwicklungen in der Geschichte des Netzes ausbilden konnte: Hier kamen gesellschaftliche Gruppen, innerhalb derer der Geschenkverkehr bereits dominierte, mit einem Medium zusammen, das diese Form von Verkehr sehr einfach machte. Als die kommerziellen Akteure später dazustießen, trafen sie auf eine ausgebildete Geschenkökonomie, in der sie ihre Form von Verkehr, die Geldwirtschaft, nicht durchsetzen konnten. Nach einer Abgrenzung des geschenkökonomischen Bereichs wurde in Kapitel vier gezeigt, daß dieser vom Umfang her trotz des in den letzten Jahren massiv zugenommenen Anteils kommerzieller Teilnehmer dominant bleibt. Eine einzelne Geschenkökonomie, die um die Perl-Gemeinde, wurde in Kapitel fünf genauer unter die Lupe genommen. Wir finden hier einerseits eine ganz individuelle Entstehungsgeschichte und spezifische Formen des Austausches, der Kommunikation und der Bildung eines sozialen Zusammenhangs, die wohl in jeder Gemeinde variieren: Die Perl-Szene hat eine einzigartige Ideologie und Einstellung gegenüber ihrer Sprache, das Initialgeschenk wurde zum Teil aus religiösen Gründen gegeben und die Belohnung für ihre kostenlose Arbeit wird von den Perl-Hackern oft in Altmedien realisiert. Andererseits werden hier grundlegende Muster der Produktion und des Güterverkehrs sichtbar, die in den beiden Folgekapiteln genauer beschrieben werden. In Kapitel sechs wurde argumentiert, daß aufgrund der technischen Produktions-, Publikations- und Distributionsverhältnisse von Gütern im Netz ein auf der Anbieterseite von Zugangsbarrieren fast freier Markt entsteht, in dem jeder User mit sehr geringen materiellen Kosten publizieren und sein Angebot allen Interessierten zugänglich machen kann. Diese Gegebenheiten führen dazu, daß sich eine neue Produktionsform etabliert, die ich "koproduktives Patchworking" genannt habe: Hier arbeiten meist einzelne Menschen ohne Einbindung in eine Organisation zusammen, indem sie kleinere Beiträge, die der Verknüpfung mit anderen Beiträgen bedürfen, erstellen. Insbesondere bei der Einbeziehung der Nutzer in die Produktion ist das Geschenk automatisch die bevorzugte Verkehrsform der in dieser Weise erstellten Güter. Kapitel sieben widmete sich den strategischen Zielsetzungen, die die Schenkenden mit ihren Gaben verfolgen: Ich untersuchte die Entstehung von drei Gegengaben, die Produzenten automatisch für bestimmte Geschenke bekommen: Ansehen, Aufmerksamkeit und Verbreitung der eigenen Produkte. Jedes dieser drei ist für den Produzenten ein Gut, weil es, wenn es richtig eingesetzt wird, anschließende profitgenerierende Interaktionen ermöglicht oder erleichtert. Durch diese Belohnung für das Schenken, wird die Geschenkökonomie zu einer Verkehrsform, die für viele Produzenten attraktiv ist, und deshalb in vielen Bereichen mit der Geldökonomie konkurrieren kann. Die in Kapitel drei beschriebenen historischen Entwicklungen haben die Geschenkökonomie etabliert. Stabil ist dieser erreichte Punkt aber nur, weil die in Kapitel sechs beschriebenen Produktionsverhältnisse und der im letzten Kapitel beschriebene Pay-Off des Schenkens eine erfolgreiche Konkurrenz mit kommerziellen Formen des Austausches möglich macht. M. E. wurde mit der Dominanz der Geschenkökonomie eine der stabilen Lagen erreicht, die der technische Möglichkeitsraum des Internets zuläßt. Bei einer anderen Geschichte wären durchaus auch andere stabile Lagen erreichbar gewesen, z. B. ein Netz, in dem es normal ist, daß für fast jedes Angebot ein bestimmter Betrag über die Telekom- oder Providerrechnung abgezogen wird, in dem alle Formate und Medien proprietär sind und eine Publikation dementsprechend viel kostet. Es stellt sich nicht nur mir die Frage, wie die Geschenkökonomie und die ihr zugrundeliegende Produktionsweise politisch einzuordnen ist: Entsteht hier ein neuer Typ von Gesellschaft, der radikal mit der modernen kapitalistischen bricht? Raymond (1997: Kap. 10) betrachtet die Produktion von Freeware in einem macht- und geldfreien Raum als funktionierende Umsetzung anarchistischer Ideale. In der Literatur der kalifornischen Ideologen (vgl. 3.3) wird das System von Gemeinschaften des Cyberspace als Prototyp einer neuen brüderlichen und gerechten Gesellschaft gesehen, in denen die Interaktionsprozesse vor allem von den emotionalen Bindungen zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern geprägt sind. 1 Das zugrundeliegende Credo des koproduktiven Patchworkings und des Geschenkverkehrs ähnelt dem alten kommunistischen "jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen". 2 Man kann die Geschenkökonomie wie Wall (1997, 1), der betont, kein Kommunist zu sein, natürlich auch als Erfüllung des christlichen Nächstenliebegebots sehen. Eher technokritische Linke wie Barbrook und Cameroon (1995) und Dawson und Foster (1996) weisen darauf hin, daß der schöne Schein der im Cyberspace heraufziehenden egalitären, gerechten und brüderlichen Gesellschaft trügt: Das Internet sei eine reine Eliteveranstaltung, zu der die Masse der technischen Analphabeten und finanziell Minderbemittelten keinen Zugang habe. Hier zelebriere eine neue Klasse von Informationsprofessionellen eine bessere Gesellschaft, während draußen in der real world das Gros der Menschen mit dem realexistierenden Spätkapitalismus allein gelassen werde und keine Möglichkeit habe, Armut, Ausbeutung, Rassismus und staatlicher Repression durch Flucht in neue Medien zu entkommen. Die auf neuen Kommunikationsbedingungen basierende Gesellschaft, sei - so wird suggeriert - ein aristokratischer Club, der sich ein besseres und gerechteres Interaktions- und Güterverkehrssystem gerade deswegen leisten kann, weil der Zutritt limitiert ist. Nüchtern betrachtet - und das ist der Kern der Erkenntnisse, die ich in meiner Arbeit gewonnen habe - ist der Cyberspace ein gesellschaftliches Subsystem, in dem sich aufgrund anderer Produktions- und Kommunikationsverhältnisse eine andere Form des Güterverkehrs etabliert hat. Diese Form des Güterverkehrs hat aber keine oder nur eine sehr bedingte Ausstrahlungskraft auf andere Felder: In Produktionsbereichen wie der Müllabfuhr, dem Wohnungsbau oder dem Erbringen von Finanzdienstleistungen gelten die in Kapitel sechs beschriebenen Produktionsverhältnisse nicht, d. h., daß dort andere Austauschprozesse zu erwarten sind. Abgesehen davon ist - wie in Kapitel sieben dargelegt - die Geschenkökonomie im Netz, da sie kaum auf Reziprozität beruht, immer auf etwas anderes, auf eine Geld- oder Tauschökonomie angewiesen, in der die Zwischengüter in Zielgüter umgetauscht werden. Ich bin der Meinung, daß die Geschenkökonomie in den meisten Publikationen zu positiv gesehen wird, weil die Konnotationen, die wir mit dem Begriff des Geschenks verbinden, den Blick trüben: Man könnte die Geschenkökonomie im Internet als sehr viel ungerechter als den industriellen Kapitalismus betrachten: Während in der ersten jemand, der nur unterdurchschnittliche Leistungen erbringen kann, fast keine Chance hat, zu Ansehen und Aufmerksamkeit zu kommen, weil es immer bessere auf seinem Gebiet gibt, die ihn ausstechen, finden in der kapitalistischen Marktwirtschaft (zumindest war das früher so) auch weniger Begabte einen Platz in der Produktionssphäre, der ihnen ein gewisses Auskommen und Ansehen sichert. Sehr viel brüderlicher als die Marktwirtschaft ist die Geschenkökonomie auch nicht unbedingt: Ich denke, daß ein großer Teil vor allem der wertvolleren Leistungen im strategischen Eigeninteresse oder als Selbstzweck erbracht wird, also nicht unbedingt Altruismus impliziert. Was mich persönlich am Netz begeistert, ist die Tatsache, daß hier die Macht der großen Unternehmen, die fast alle konventionellen Massenmedien vom Tonträger-, über den Film- bis hin zum Zeitungsmarkt in ihrem Griff haben, in weiten Bereichen gebrochen ist. Ein sehr großer Teil der Inhalte im Netz wird nicht von kommerziellen Akteuren produziert. Bei denen, die von Firmen produziert werden, habe ich an einigen Beispielen gezeigt, daß selbst große Konzerne zum Teil gezwungen sind, die ihnen eigentlich fremde Güterverkehrsform der Netzeingeborenen zu verwenden, um überhaupt eine Chance zu haben, ihre Produkte loszuwerden. Noch weniger Einfluß haben die staatlichen Organisationen, mit deren Mitteln das Internet einst aufgebaut wurde: Es ist für Nationalstaaten mehr oder minder unmöglich, ein internationales Netz zu kontrollieren. Inhalte und Formen der Kommunikation werden zu wesentlichen Teilen von einer schreibenden und hackenden Elite bestimmt und nicht von Bürokraten oder Managern. Etwas pathetisch ausgedrückt kommt im Netz die Produktion zurück in die Kontrolle der Produzenten, die mit eigenen Mitteln, auf eigene Faust und auf eigenen Namen Güter herstellen und in ihrem Reich für funktionierende soziale Strukturen sorgen, die jenseits vom Rechtsstaat und organisationeller Machtbeziehungen stehen. Vielleicht - aber damit begebe ich mich ins Reich der Spekulation - ist die Arbeit unter solchen Produktionsbedingungen weniger entfremdet und kann mit einer größeren Hingabe und Befriedigung durchgeführt werden. Eventuell bedarf sie geringerer Verbiegungen und eines kleineren Zynismus', als sie bei klassischen Medienschaffenden normalerweise anzutreffen sind. Auch der Konsum besitzt im Netz eine neue Qualität, wenn man die Möglichkeit hat, das Produkt mitzugestalten und nicht nur Dinge vorgesetzt bekommt. Der einzige Herr, dem zumindest die strategisch Schenkenden sich noch beugen müssen, ist der Markt, auf dem sich die Geschenke letztlich rentieren sollen. Die Chance, sein Glück auch als No-Name alleine versuchen zu können, ist allerdings Gold wert: Weder in der Softwareindustrie, noch in den Massenmedien hat man als Normalsterblicher eine Chance auf einen direkten Marktzugang, weil man sich zunächst einen Passierschein von einer Großorganisation erwerben muß, die entscheidet, wer was wann veröffentlicht. Vielleicht ist die Geschenkökonomie im Netz damit weniger eine Implementation der oben erwähnten linken Gesellschaftsmodelle als eine ideale korporations- und staatsfreie Marktwirtschaft, deren Kernkapitale wie Ansehen in einer weicheren Sphäre als Geld anzusiedeln sind. Diese Wirtschaftsform bietet aber den Menschen, die keinen Pay-Off ihrer Geschenke anpeilen, auch die Möglichkeit, aus intrinsischen oder altruistischen Gründen zu geben, während die klassischen Massenmedien Publikationen jenseits der Profitlogik nur mithilfe reicher Mäzene oder staatlicher Subventionen zulassen. Die letzte Frage, die sich in dieser Arbeit stellt, ist die nach der Zukunft. Wird sich das von mir beschriebene Verkehrssystem weiter verbreiten, wird es stagnieren oder langsam eingehen? Vielleicht ist die Geschenkökonomie nur ein Puppen- oder Larvenstadium eines noch unreifen Mediums: Es wäre denkbar, daß nach einer Anfangsphase, in der verschiedene Akteure durch ein Initationsopfer in Form eines Geschenkes die nötige Aufmerksamkeit, das Vertrauen und Zutrauen potentieller Käufer sowie einen gewissen Marktanteil mit ihren Produkten gefunden haben, sich eine normale Geldwirtschaft zunehmend ausbreitet: Die einst freien Angebote werden kostenpflichtig oder finanzieren sich über Werbung. Es könnte sein, daß die Masse der neuen Nutzer eher eine Couch-Potatoe -Einstellung mitbringt und weder in der Lage, noch bereit ist, zukünftige freie Angebote zu erarbeiten. Vielleicht sind diese Nutzer froh, wenn sie ein paar Mark bezahlen und dafür verläßliche und leicht navigierbare Angebote vorgesetzt bekommen. Möglicherweise schafft es auch einer der großen Player, im Netz ein proprietäres Medium durchzusetzen, in dem eine Publikation mit hohen Aufwänden verbunden ist und nur noch durch kommerzielle Anbieter erfolgen kann. Umgekehrt wäre genauso das Gegenszenario vorstellbar: Obwohl das Netz weiterhin wächst und eine immer bedeutendere Rolle unter den Kommunikationsmedien einnimmt, bleibt die Geschenkökonomie dominant und gewinnt dadurch an gesellschaftlicher Relevanz, weil breitere Bevölkerungsschichten von dieser Verkehrsform profitieren. Irgendwann ist es normal, alle Inhalte frei zu bekommen. Ich weiß nicht, wie die Zukunft aussehen wird. Ich schätze, daß keins dieser beiden Extremszenarien sich realisieren wird: M. E. wird die Geschenkökonomie genau in den Bereichen erfolgreicher als die Geldökonomie sein, in denen das koproduktive Patchworking möglich ist und der Pay-Off über die in Kapitel sieben beschriebenen Zwischengüter einen ausreichender Anreiz darstellt, etwas zu produzieren. Wenn es zukünftig viele Pendants zu Zeitungen oder Nachrichtensendungen im Netz gibt, dann werden diese fast alle kostenpflichtig oder werbefinanziert sind, weil deren Produktion feste organisationelle Strukturen verlangt. Umgekehrt schätze ich, daß sich der Bereich der freien Software, die hervorragend im koproduktiven Patchworking hergestellt werden kann, ausweiten wird: Vielleicht arbeiten die Menschen in zehn Jahren hauptsächlich mit Betriebssystemen und Applikationen, deren Produzenten sich ihre Brötchen als Berater, Dozenten und Lehrbuchautoren für ihre Programme verdienen. Am wahrscheinlichsten ist jedoch - und das ist das Schöne am Internet - daß es in den nächsten fünf Jahren eine unvorhersehbare technologische Entwicklung gibt, die alle Prognosen zu Makulatur macht. Vielleicht arbeitet bereits jemand daran. |
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Fußnoten |
1
Vgl. z. B. Rheingold (undatiert).
2 Da die Produktion keine zu kaufenden Vorprodukte benötigt, hat jeder die Möglichkeit, nach seinen Fähigkeiten zu produzieren. Da Geschenke immer allen offen stehen, kann sich jeder nach seinen Bedürfnissen bedienen. |